Tetiana Demianchuk (links), Iuliia Kuleba (rechts, stehend) und Viktoriia Rybkina (rechts, sitzend) büffeln an der vhs Langenfeld gemeinsam Deutsch.
Tetiana Demianchuk (links), Iuliia Kuleba (rechts, stehend) und Viktoriia Rybkina (rechts, sitzend) büffeln an der vhs Langenfeld gemeinsam Deutsch. Foto: Evelyn Zerbe

„Sprache ist die wichtigste Sache für ein Leben in Deutschland“


Im Pausenraum des Kulturzentrums herrscht lebendiges Stimmengewirr. Tetiana Demianchuk (40), Iuliia Kuleba (43) und Viktoriia Rybkina (50) haben kürzlich den „Deutsch-Test für Zuwanderer“ erfolgreich absolviert und unterhalten sich angeregt – auf Deutsch. Alle drei Frauen sind im März über teils abenteuerliche Routen von Kiew nach Deutschland geflüchtet und haben sich im Integrationskurs bei der vhs Langenfeld kennengelernt. „Ich konnte drei Tage nicht essen“, erzählt Tetiana Demianchuk, die vor ihrer Flucht als Anwältin gearbeitet hat, so aufgewühlt sei sie damals gewesen. Sie war mit ihren Kindern bereits Mitte Februar in die Westukraine gereist, da es Gerüchte gab, der Krieg würde schon am 15. Februar losbrechen. Weil die Tochter dort Corona bekam und die Familie nicht zurückreisen durfte, waren sie bei Kriegsausbruch noch vor Ort. Vier Stunden nach dem ersten Alarm waren sie bereits an der Grenze. „Ich konnte den Krieg durchs Fenster sehen“ berichtet Iuliia Kuleba von der Nacht des 24. Februar. Bis 7:00 Uhr morgens sei sie mit ihrem Mann wach geblieben, um abzuwägen – fahren oder bleiben – und Pläne zu schmieden. Dann habe sie kurzentschlossen ihre Mutter und die beiden Kinder ins Auto gepackt und sei über Prag und Dresden nach Langenfeld geflüchtet. Ihr Mann, mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet ist, musste in Kiew zurückbleiben. Männer unter 60 dürfen die Ukraine nicht verlassen. „Für mich war das eine Tragödie“, erzählt die zweifache Mutter. „Man wusste nicht, wie lange diese Situation andauert. Ich musste von jetzt auf gleich Papa und Mama gleichzeitig sein und alle Entscheidungen alleine treffen.“ Alle drei Frauen sind ganz gezielt nach Langenfeld gekommen. Sie hatten Freunde und Bekannte vor Ort, die sie spontan eingeladen hatten.


„Als wir hier ankamen, hatten wir Null Deutsch-Kenntnisse, inzwischen kommen wir gut mit der Sprache zurecht“, erinnert sich Tetiana Demianchuk. „Sprache ist die wichtigste Sache für ein Leben in Deutschland.“ Sie zu beherrschen helfe, viele Probleme zu lösen und die Dinge des Alltags zu meistern: Briefe lesen, Bus fahren, einkaufen, Schwierigkeiten mit dem TÜV oder der Zulassungsstelle klären, so die Ukrainerin. Inzwischen mache ihr das Deutsch Lernen richtig Spaß. „Je mehr ich lerne, desto besser gefällt es mir“, erklärt sie stolz. „Ich bedanke mich für diese Möglichkeit“, erklärt die Anwältin. Alle drei Kursteilnehmerinnen loben die Lehrkräfte der Volkshochschule und empfanden es als große Unterstützung, Alltagsprobleme im Kurs gemeinsam lösen zu können. Auch bei den Hausaufgaben mit den Kindern könne man das Vokabular erweitern, amüsiert sich ihre Kurskollegin Julia Kuleba. Erst heute habe sie einen neuen Ausdruck gelernt: „Schade Marmelade“. Das Ziel der Frauen ist es, bis zum Sprachniveau B2 weiter zu lernen, und einen qualifizierten Job zu finden. Sie alle haben in der Ukraine gearbeitet. „Ich war es gewohnt, mein Geld selbst zu verdienen“, erzählt die studierte Rechtsanwältin. Dass dies derzeit nicht möglich ist, sei schon eine Umstellung. Umso dankbarer zeigen sich die Frauen für den freundlichen Empfang und die große Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung. Sie hätten sich vom ersten Tag an willkommen gefühlt, sind sich die Frauen einig. Alles, was für den Neustart nötig war, wurde Ihnen kurzfristig zur Verfügung gestellt: Wohnung, Kleidung, Ärzte und Schulen für die Kinder. „Danke an Deutschland und die deutsche Bevölkerung für diese große Hilfe an die ukrainischen Leute“, würdigt Iuliia Kuleba die entgegengebrachte Hilfsbereitschaft.


Aber natürlich gab es auch immer wieder schwierige Momente. Neben dem Heimweh und der Sorge um zurückgebliebene Familienangehörige machte ihnen die deutsche Bürokratie am meisten zu schaffen. Die Flut an amtlichen Briefen und Dokumenten, die es zu verstehen galt, erwies sich als besondere Herausforderung. „Zunächst wussten wir nicht, was mit all diesen Schreiben zu tun war“, amüsiert sich die Iuliia Kuleba. „Inzwischen wissen wir: Wir dürfen die Briefe nicht wegwerfen. Wir müssen sie zu Hause sammeln und 5 Jahre aufbewahren.“ Auch wenn es ihnen noch immer komisch vorkomme – man wolle sich integrieren, also sammele man fortan die Briefe. Auch die langen Wartezeiten auf Arzttermine seien für sie ungewohnt. In der Ukraine waren Terminabsprachen ganz einfach und kurzfristig online möglich, wunderten sich die Frauen anfangs in ihrer neuen Heimat.


Was ihnen jedoch am meisten Sorge bereitet, sei die Ungewissheit und die Tatsache, dass man nicht wisse, wie es mit dem Krieg weitergeht. „Da fällt es schwer, Entscheidungen über die Zukunft zu treffen“, erklärt Viktoiia Rybkina. Zunächst habe man noch gehofft, nach zwei Wochen sei alles wieder vorbei. Inzwischen dauert der Krieg schon über ein Jahr und ein Ende ist nicht in Sicht. Dabei wiegt besonders schwer, dass die Kinder aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme in Deutschland und der Ukraine nicht so ohne weiteres die Schulen wechseln können. Insbesondere die älteren Schülerinnen und Schüler gehen in Deutschland zur Schule, nehmen aber auch weiterhin an ihrem ukrainischen Online-Unterricht teil, um dort ihren Abschluss zumachen. Viele ukrainische Schulen hatten den Digitalunterricht nach Kriegsbeginn sehr schnell auf die Beine gestellt, die Strukturen seien ja von der Corona-Pandemie bereits da gewesen. Auch die 17-jährige Tochter von Iuliia Kuleba legt derzeit online ihr Abitur an einem Mathematik-Gymnasium in der Ukraine ab, während sie zum Hildener Berufskolleg geht. „Mit zwei Kindern kann man nicht so einfach eine Entscheidung für die Zukunft treffen“, bestätigt auch Tetiana Demianchuk. „Wir müssen stark sein und uns weiterentwickeln“, sind sich die drei Frauen einig, die an ihrem Schicksal gewachsen sind. Die Sprache weiter verbessern, neue Erfahrungen sammeln, etwas planen und vielleicht sich irgendwann einmal selbstständig machen, das ist der aktuelle Fahrplan für die Frauen aus Kiew. 

 


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